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Wer ist Dr Hans Castelijns

Der dorsale Abrollpunkt – ein Überblick

I. Definition, Biomechanik und Beeinflussung des Abrollpunktes

Laut Definition ist der dorsale Abrollpunkt die Zeitspanne der Stützbeinphase, die mit dem initialen Abheben der Trachten beginnt und in dem Moment endet, indem die Zehe den Boden verlässt. Es handelt sich also um die Zeitspanne, in der nur die Zehe den Boden berührt. Folglich wird in diesem Artikel der Abrollpunkt als der Moment definiert, indem die Trachten beginnen sich vom Boden zu lösen.

Der Zeitpunkt des Abrollens ist abhängig von der Körperposition des Pferdes relativ zur unterstützenden Gliedmaße und zur Länge der Gliedmaße: wenn der Körper sich vorwärts und über die stützende Gliedmaße schiebt, entfernt sich der Huf schließlich vom Boden (je kürzer das Bein, desto eher).

Andere Faktoren, die das Abrollen beeinflussen sind Bodenbeschaffenheit und Neigung, Gangart, Schnelligkeit, Reiter (Gewicht, Position), Bewegungsrichtung, Körpergewicht, Exterieur, Hufform und –länge und der Beschlag.

Physiologischerweise begrenzen die tiefe Beugesehne (tBS), ihr Muskel und ihr Unterstützungsband die Streckung des Hufgelenkes. Dieses ist kurz vor dem Abrollen maximal oder fast maximal gestreckt.

Der Muskel der tBS jedoch ist ein willkürlicher Muskel, der bei Kontraktion das Hufgelenk beugt (und dadurch Abrollen hervorrufen kann). Pferde können also das Abrollen vorweg-

nehmen und die letzte Schrittphase verkürzen. Das kann man z. B. beobachten, wenn Pferde Gewicht ziehen oder bei schneller Beschleunigung, aber am deutlichsten wird dies bei bestimmten Lahmheiten.

Weiteren Einfluß des Exterieurs auf den Abrollpunkt sind die Winkelung von Fessel und Hufwand und schließlich die Länge und Spannung der tBS. Eine kurze, steile Fesselung mit hoher dorsaler Hufwand und großem palmaren/plantaren Winkel des Hufbeins (im Röntgenbild), korrelieren mit einer eingeschränkter Streckung des Hufgelenks. Dies kann mit einem „digital extension device“ [1 ] (modifizierte Brettprobe, Anm.d.Übers.) gemessen werden. Eine Gliedmaße mit reduziertem dorsalem Streckungsvermögen rollt früher ab, als eine Gliedmaße mit großem Spielraum – durch eine kurze, gespannte tBS und Unterstützungsband, wird die maximale Streckung schneller erreicht. Das extremste Beispiel einer solchen Gliedmaße ist der Bockhuf.

Während des Beschlagsintervalls kommt es zur Verlängerung der vorderen Hufwand und flacheren Hufwinkelung, da der Beschlag die Zehe vor Abnutzung schützt (Zehenwachs-tum), aber nicht die Trachten (Bodenwinkel wird flacher). Dadurch verlängert sich der dorsale Hebelarm als Gegenspieler zum Zug der tBS am Hufbein. Pferde scheinen die Hinterglied- maßen daran anpassen zu können, indem sie ihr Gangverhalten verändern: die Stützphase wird verkürzt und die Winkelung der distalen Gliedmaße zum Boden verändert. Die Vorder- gliedmaßen kommen nicht so gut mit der lange-Zehe und abgenutzte-Trachten Situation am Ende des Beschlagsintervalls zurecht. Stützphase und Abrollpunkt bleiben ähnlich wie beim frisch beschlagenen Huf, aber der zentrale Druckpunkt (center of pressure, COP) [2] weicht zunehmend nach lateral und vorne ab. Wenn der COP sich unter dem Huf nach vorne verschiebt (er verschiebt sich auch lateral), dann verstärkt sich die maximale Belastung der tBS und die des gesamten Hufrollenapparates einschließlich der seitlichen Strahlbeinbänder, des Strahlbein-Hufbeinbandes und der Druck auf den Hufrollenschleimbeutel. Die laterale Verschiebung des COP verstärkt die Belastung des medialen Seitenbandes des Hufgelenks.

Wenn sich die Bewegungsrichtung des Pferdes durch eine Wendung verändert, verschieben sich COP und Abrollpunkt in die Richtung, in die das Pferd wendet. Die Veränderungen der Kontaktflächen der distalen Gelenke wurden vitro untersucht und „Colateromotion“ genannt [3]. In vivo können die Effekte der Wendung und die Tolerierung der Colateromotion mit dem digitalen Extensions(Streck)-Test gemessen werden. Der Huf wird auf ein „digital extension device“ gestellt, dessen Griff 90° zum Körper des Pferdes steht, der andere Huf wird hochgenommen. Der Griff des Gerätes wird angehoben bis die gegenüberliegende Seite des Hufes beginnt, sich von der Platte zu heben. Die meisten Pferde zeigen lateral 1-2 Grad weniger seitliches Streckungsvermögen (Colateromotion) als medial. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Messung am stehenden Pferd mit einer hoch- gehobenen Gliedmaße durchgeführt wird, was die Stützbeinphase in der Bewegung simuliert. Dadurch wird die belastete Gliedmaße in Nähe des Körperschwerpunktes platziert, was das COP nach lateral verschiebt.

Die Bodenbeschaffenheit ist die andere große Variable, wenn es um den Abrollpunkt und Belastungen der Gliedmaße geht.

Einsinkbarer Boden (EB), im Gegensatz zu nicht einsinkbarem Boden (NEB) sind die Hauptunterschiede, neben Kompaktheit, Ebenheit, Elastizität, Griffigkeit usw.

Auf EB brauchen Pferde Hufmasse und –länge, damit sie nicht tief in die Oberfläche einsinken und um sich selbst hoch und vorwärts stoßen zu können. Ein extremes Beispiel sind die „Moorschuhe“ der deutschen Auengebiete, die aus breiten und langen Holzbrettern bestehen, welche an den Hufen befestigt werden. Auf NEB spielt die geometrische Form des Hufes oder Beschlages bei der Biomechanik eine große Rolle. Unbeschlagene Pferde, egal ob wild oder domestiziert, zeigen dies in der Abnutzung ihrer Hufe: in feuchter Umgebung, mit EB haben sie eine lange Zehe. Wird der Boden hart, kommt es zur schnellen „Selbst- regulierung“ (Abbrechen) der Zehenwand [4]. Barhufe zeigen noch eine interessante Eigen- schaft: ihre Bodenfläche hat häufig eine Dreipunkt-Form, bei der die Zehe und beide Trachten über die Sohle hinausragen.

Diese Form erleichtert den Gelenken und Bändern die Wendung und Bewegung auf unebenem Boden, da die latero-medialen Hebel der Bodenfläche des Hufes vermindert sind.

Letztlich können COP, Gelenksdynamik und die Belastung von Sehnen und Bändern theoretisch beeinflusst werden, indem die Ebene des Hufes und Hufbeins in der sagitalen Ebene (Zehe zur Trachte) durch Beschlagstechniken verändert wird, z. B. würden Trachten- keile das Hufgelenk während der Stützbeinphase beugen. In der Praxis, an lebendigen Pferden, unter Arbeitsbedingungen funktioniert dies häufig nicht so wie erwartet, weil:

  • Die Hornkapsel sich durch einen Keil an den Trachten nach oben verlagert [5].
  • Die Trachten sich vermehrt abnutzen und während des Beschlagsintervalls zusammenbrechen.
  • Sich die Position der Gliedmaße nach hinten unter den Pferdekörper verlagert, wodurch das Ellbogengelenk geöffnet wird.

Dies führt zu einer Rückkehr zum vorherigen Stand, soweit es die Dynamik des Hufgelenks betrifft, da nach wie vor die palmare/plantaren Winkelung des Hufbeins von der tBS bestimmt wird.

II. Methoden um das Abrollen zu erleichtern:

A. Barhuf Zubereitung:
Wildpferde unterliegen einem „Selbstregulierungs-Mechanismus“, der von Boden-beschaffenheit und Bewegung abhängig ist. Die Bewegung wird durch das Futterangebot, Geschlecht und potentieller Gefahr bedingt. Domestizierte Pferde, wie z. B. Zuchtpferde werden häufig Barhuf gehalten, haben aber selten die Möglichkeit, ein Gleichgewicht zwischen Hufwachstum und –abnutzung herzustellen. Bei der Zubereitung von Barhufen domestizierter Pferde, kann das dorsale Abrollen erleichtert werden, indem die Zehe im 45° Winkel zur Sohle zurück geraspelt wird. Durch diesen eher steilen Winkel wird der Abroll-punkt am Huf zurückgebracht, ohne dabei die Sohle unter der Hufbeinspitze auszudünnen.

Da die Winkelung des Trachtenendes meist schräger verläuft als die dorsale Hufwand, sollten die Trachten, wenn nötig, auch zurückgebracht werden. Dies kann bis zur weitesten Stelle des Strahls geschehen, oder bis zur Trachten-Strahl-Verbindung (Trachtenkerbe), was der Hufzubereitung nach einheitlicher Sohlendicke entgegenkommt [6]. Dorsale konkave Wandeinziehungen (Schnabel, Flügel) werden auch beraspelt.

Durch eine Kantenbrechung von ± 5 mm um den Tragrand herum, wird auch das latero- mediale Abrollen erleichtert und Absplitterungen der distalen Hufwand verhindert.

Bei beschlagenen Pferden, kann das Abrollen durch die Platzierung des Beschlags, seiner Form und Art erleichtert werden:

B. Platzierung des Beschlages:
1. Das Zurücksetzen des Beschlages auf dem plan zubereiteten Huf bringt den COP des Beschlages relativ zur Gliedmaße zurück. Da die Dicke der dorsalen Hufwand begrenzt ist, schließt dies den Gebrauch einer Zehenkappe aus. An der Vordergliedmaße kann es aus-reichen ohne Aufzug zu beschlagen, wenn keine Stollen oder Einlagen benutzt werden. Wird eines oder beides benutzt, können seitliche Aufzüge die Stabilität des Beschlages ver-stärken. So kann darauf verzichtet werden, dickere oder zusätzliche Nägel zu gebrauchen. Da Vorderhufe meist runder als Hinterhufe sind, sollte beim Gebrauch von Fabrikshufeisen zu diesem Zweck Vordereisen mit seitlichen Zehenkappen benutzt werden – Hintereisen mit zwei seitlichen Aufzügen haben zu wenig Platz zwischen den Kappen, um das Eisen zurück- zusetzen und können nach einiger Zeit zu einer schmalen Vorderhufform führen.

Die Hintergliedmaße hat eine andere Stützbeinphase, die Scherkräfte beim Auffußen sind mehr nach hinten gerichtet. Deshalb verschieben sich Beschläge ohne Aufzüge an den Hinterhufen leichter nach hinten als an den Vorderhufen. Andererseits kommen Hinterhufe besser mit dem Hornwachstum während eines Beschlagsintervalls zurecht und haben meistens einen schmaleren Zehenrückenteil. Praktisch bedeutet dies, dass ein normales Hinterhufeisen mit Seitenaufzügen auf einem Hinterhuf, weit genug zurückgesetzt werden kann, wenn erforderlich.

Wird ein Fabrikshufeisen relativ zum Zehenrückenteil des Hufes weit zurückgesetzt, sind die Nagellöcher im Zehenteil zu fett gelocht und man riskiert, dass Pferd zu vernageln. In diesem Fall sollte das erste Nagelloch nicht benutzt werden, oder zwei neue, passende Nagellöcher gelocht werden.

2. Ein zehenoffener Beschlag (herumgedrehtes Eisen, Peter Manning) kann natürlich den dorsalen Abrollpunkt verbessern und vergrößert die hintere Unterstützungsfläche des Beschlages, ähnlich wie ein Eisen dies tut. Zehenoffene Eisen nutzen sich außerdem im Zehenbereich schneller ab als andere Beschläge, wodurch der Bodenwinkel innerhalb eines Beschlagsintervalls annähernd gleich bleibt. Zehenoffene oder Napoleon-Eisen (von

Napoleon nimmt man an, dass er ein ganzes Regiment zehenoffen beschlagen lies, um den Feind während des Russlandfeldzuges in die Irre zu führen) können hergestellt werden, indem man die Schenkelenden eines normalen Hufeisens falzt, stempelt und locht. Eine andere Möglichkeit ist, ein Hintereisen mit Seitenaufzügen vor den Aufzügen zu durch-trennen und den so gewonnenen (Vorderteil) Steg zwischen die Schenkelenden der originalen Seitenteile zu schweißen; der so entstandene zehenoffene Beschlag hat Falz, Nagellöcher und Aufzüge an der richtigen Stelle.

C . Hufeisenform und Typ
Der Beschlag kann durch die Form seiner Bodenfläche das Abrollen zu allen Seiten hin erleichtern. Die Bodenfläche und also der COP werden bei konkavem oder halbrundem Profil näher zur Hufmitte gebracht – in allen Phasen der Stützbeinphase und in allen Abroll- richtungen. „Full rolling motion“ Beschläge wie Colleoni COBMD und PG Beschläge haben dabei eine weitaus größere Wirkung, da ihre Bodenfläche viel schmaler ist als ihre Trag-fläche. Andere Beschläge sind mit einer geraden Zehe erhältlich, wie z. B. NBS-, Sagital-Beschläge, Speed Toe Rennbeschläge usw. Durch sie wird hauptsächlich das dorsale Abrollen erleichtert. Der dorsale Abrollpunkt kann auch durch eine angeschmiedete Zehen- richtung verbessert werden, wie z. B. beim Equilibrium Hufeisen. Bei diesen Beschlägen wird das Abrollen durch die Form ihrer Bodenfläche erleichtert, während der Huf plan bleibt und folglich eine plane Hufzubereitung erfordert.

Sowohl eine angeschmiedete Zehenrichtung als auch eine gerade Zehe können selbst geschmiedet oder leicht durch abändern von Fabrikhufeisen gefertigt werden. Kein Fabrik- hufeisen kommt mit einer angebogenen Zehenrichtung aus der Kiste, aber es ist einfach, eine Zehenrichtung anzubiegen. Meist muß so ein Beschlag aufgebrannt werden, da die Tragefläche des Eisens und der Tragerand des Hufes nicht mehr plan sind. Eine besonders interessante Form der angebogenen Zehenrichtung ist die französische (oder schweizerische) Art der „ajusture“. Mit einem Handhammer wird die Tragefläche des Vorder- teiles in einer konkaven, schlüsselförmigen Form nach unten geschmiedet. So berücksichtigt diese Zehenrichtung nicht nur den Vorderteil des Hufeisens, sondern geht in die Seitenteile über und erleichtert in der Wendung auch das Abrollen über die innere und äußere Zehe. Dadurch, dass die Tragefläche im Vorderteil nach innen abfällt, wird die Sohle entlastet, die Winkelung der Nägel optimiert und sehr flache, weite Hufe zusammengehalten. Diese Art der Zehenrichtung wird üblicherweise bei Warmblütern in Frankreich angewendet.

Selbstverständlich können die verschiedenen Arten der Abrollpunkte bis zu einem bestimmten Punkt kombiniert werden. Ein „full rolling motion“ Beschlag kann zurückgesetzt werden, eine Zehenrichtung kann sowohl angeschmiedet als auch angebogen werden, eine angeschmiedete Zehenrichtung kann zurückgesetzt werden. Es ist jedoch bei dem Versuch Vorsicht geboten, eine angebogenen Zehenrichtung bei einem kurz zubereiteten Huf zurück- zusetzten. Wird so ein Beschlag zu weit hinten platziert, übt die angebogene Tragefläche im Zehenbereich Druck auf die Sohle aus.

III. Der geeignete Abrollpunkt

A. Beim gesunden Pferd:
Durch das Zurückbringen des dorsalen Abrollpunktes werden, wenn das Pferd geradeaus läuft, am Ende der Stützbeinphase die Spitzenspannungen auf den Strahlbeinkomplex reduziert und das COP weniger nach vorne verschoben. In der Wendung werden durch ein erleichtertes mediodorsales Abrollen der asymmetrische Druck auf die Gelenksknorpel und die Spannung der Seitenbänder verringert. Auch andere anatomische Strukturen mit medialen und lateralen Anteilen werden entlastet, wie z. B. der innere und äußere Anteil der tBS.

Vorbeugend sollten beim gesunden Pferd die Art der Arbeit, Bodenbeschaffenheit, Glied- maßenstellung, Hufform und –qualität bei der Auswahl des geeigneten Abrollpunktes eine Rolle spielen.

1. Bodenbeschaffenheit – Art der Arbeit:
Pferde, die hauptsächlich geradeaus auf festem Boden (NEB) laufen müssen, profitieren vor allem an den Vorderhufen von einem zurückgesetzten, dorsalen Abrollpunkt durch eine gerade Zehe, oder angebogene Zehenrichtung, z. B. Fahrpferde (Vorsicht: Trabrennpferde, die leicht in Pass wechseln, benötigen manchmal eine etwas längere Zehe).

Pferde, die häufig Wendungen laufen (z. B. Springpferde) profitieren von einer angebogenen französischen Zehenrichtung. Distanzpferde und Trailpferde laufen häufig auf unebenem und kompakten Boden, hier verringern Beschläge mit verkleinerter Bodenfläche (z. B. St. Croix Eventers, Kerckhaert Classic Rollers) den lateromedialen Zug, der durch unebene Fußung verursacht wird.

Andererseits sollten gesunde Dressurpferde, die ausnahmslos EB gearbeitet werden, nicht zu viel dorsalen Abrollpunkt haben. Häufig brauchen sie wegen Ausdruck und um zu verhindern, dass die Zehe in den weichen Hallenboden eingräbt, eine längere kompakte Zehe. Bei regelmäßiger Hufform mögen sie weite, breite Beschläge.

Kutschpferde benötigen eine ausgeprägte angebogene Zehenrichtung, da sie auf kompakten und nicht einsinkbaren Oberflächen arbeiten. Werden Stollen benötigt, sollten im Vorderteil ein schmaler, zentral platzierter Griff nahe der inneren Randfläche und an den Schenkel- enden Stollen angebracht werden. Dies ahmt eine Dreipunkt Bodenfläche nach, die latero-mediales Abrollen erleichtert.

Auf einsinkbaren Boden, gibt der Boden in jedem Moment der Stützbeinphase, nicht nur während des Abrollens nach. Durch die Veränderung der Bodenfläche des Beschlages werden bestimmte Strukturen auf Kosten von anderen entlastet. Mit einem zehenoffenen Eisen z. B. sinkt die Zehe tiefer ein als die Trachten, wenn während der Stützbeinphase die Gewichtsaufnahme und Streckung des Fesselkopfes am größten sind. Indem das Hufgelenk gebeugt wird, wird die tBS zwar entlastet, aber die oberflächliche Beugesehne und der Fesselträger müssen die zusätzliche Belastung tragen [7].

2. Gliedmaßenstellung, Hufform und –qualität:
Hufe mit konkavem Zehenrückenteil, unterschobenen Trachten, schräger Fesselung und Hufwinkel wachsen während des Beschlagsintervalls mehr nach vorne. Solche Pferde profitieren von einem zurückgesetzten Beschlag und/oder einer angeschmiedeten Zehen- richtung. So bleibt der COP auch am Ende der Beschlagsperiode, die in jedem Fall so kurz wie möglich sein sollte, relativ weit hinten. Pferde mit dünner Sohle und Wänden sind leichter mit zurückgelegten Eisen oder angeschmiedeter Zehenrichtung zu beschlagen. Warmblüter mit dicker Sohle können mit aufgebrannter angebogener Zehenrichtung zurecht kommen.

Große, weite Hufe mit schrägen Seitenwänden sind Kandidaten für weite, breite Beschläge (mehr Schutz für die Sohle) mit deutlicher angebogener französischer Zehenrichtung und konkaver Tragefläche, die bis zu den Seitenteilen reicht, so dass nur die Schenkelenden des Beschlages flach bleiben.

Steile, enge Hufe, mit großer palmarer/plantarer Hufbeinwinkelung profitieren von einer deutlichen dorsalen angebogenen Zehenrichtung, da die tBS sehr straff ist. Die angebogene Zehenrichtung sollte im Zehenbereich viel Sohlendicke belassen, da in diesem Bereich die Hufbeinspitze häufig in die Sohle drückt [6]. Die Seitenteile des Beschlages sollten nicht nach innen abfallen, da diese Hufe sowieso schon eng sind und der Huf sich wenig ausdehnt.

Die Stellung der oberen Gliedmaße sollte auch Einfluß auf die Wahl des Abrollpunktes haben. Pferde mit überstrecktem Karpalgelenk („back at the knee“), die schnell gearbeitet werden, wie z. B. Rennpferde, brauchen eine angeschmiedete Zehenrichtung oder zurück- gelegten Beschlag um dorsalen „slab“ Frakturen der Karpalknochen vorzubeugen, da das Karpalgelenk kurz vor dem Abrollen überstreckt wird.

Bei einwärts gedrehter Gliedmaße (pigeon toe) erfolgt das Abrollen und die Abnutzung des Beschlages vermehrt lateral. Dies sollte durch das Bearbeiten und Anbringen des neuen Beschlages begünstigt werden.

B. Beim lahmen Pferd:
Hufbeschlag, einschließlich verbesserter Abrollpunkte, ist ein essentieller Teil der Therapie von Lahmheiten und vielen Erkrankungen der (unteren) Gliedmaße.
Moderne Methoden der Diagnostik (digitales Röntgen, Ultraschall, MRI, CT) haben unser Wissen von vielen Erkrankungen enorm vergrößert, vor allem von denen, die unter dem gemeinsamen Nenner „palmar hoof pain“ zusammengefasst waren. Bessere Diagnostik führt allerdings auch zum Entdecken von mehr Defekten. Viele Pferde zeigen mehr als eine Läsion, häufig in verschiedenen, nebeneinander liegenden anatomischen Strukturen, die theoretisch gegenteilige biomechanische Lösungen vom therapeutischen Beschlag fordern. Obgleich beste diagnostische Instrumente erhältlich sind, bleibt die klinische Beurteilung von oberster Priorität um den geeigneten Beschlag auszuwählen. Die klassische Beobachtung von Lahmheit wird besser/schlechter auf hartem/weichen Boden, nach dem Aufwärmen, bergauf, bergab, in der Rechts-/Links-Biegung usw., spielen immer noch eine wichtige Rolle. Nach der Erfahrung des Autors hat sich als wichtigstes klinisches Hilfsmittel, nach der Hufuntersuchungszange, das „digital extension device“ (DED) erwiesen. Herabgesetzte dorsale Streckung, Intoleranz gegenüber lateralem oder medialem Anheben, alleine oder in Kombination, bei einem oder mehreren Beinen sind relativ einfach zu messen und geben reproduzierbare Ergebnisse. Zusammen mit Informationen über die Bodenbeschaffenheit auf der das Pferd arbeitet oder genesen soll, kann so der passende therapeutische Beschlag ausgewählt werden.

Auf EB Oberflächen, hilft die Veränderung der Bodenfläche des therapeutischen Beschlages, z. B.:

  • Geschlossener Beschlag, zehenoffenes Eisen: Schädigung von tBS, Unterstützungsband (Intoleranz bei dorsaler Überstreckung).
  • Breiter Vorderteil: Rehabilitation bei Schädigungen an: Fesselträger, oberflächliche Beugesehne (Intoleranz beim Anheben der Trachten).
  • Verbreiterter lateraler Schenkel: Schaden des lateralen Strahlbeinbandes, mediale subchondrale Knochendefekte der Zehengelenke (Intoleranz bei medialem Anheben), Knochenspat bei typischer dorsomedialer Lage.
  • Verbreiteter medialer Schenkel: Schaden des medialen Strahlbeinbandes, laterale subchondrale Knochenläsionen der Zehengelenke (Intoleranz bei lateralem Anheben).
  • Verbreiterter lateraler Schenkel + Eisen oder umgedrehtes Eisen: Schädigung von distaler tBS, lateraler Schenkel (Intoleranz bei dorsalem und medialem Anheben).

Bei NEB Oberflächen, ist ein gesteigerter Abrollpunkt wichtiger als die Veränderung der Bodenfläche, z. B.:

  • Erleichtertes dorsales Abrollen: Schädigung von tBS, Unterstützungsband, Hufrehe (Intoleranz beim dorsalen Anheben).
  • Erleichtertes laterales Abrollen: Schädigung von medialem Seitenband, lateralem Knochen (Intoleranz beim lateralen Anheben).
  • Erleichtertes mediales Abrollen: Schädigung von lateralem Seitenband, medialem Knochen (einschließlich der meisten Spatformen).
  • Erleichterung des Abrollens in alle Richtungen: einige Formen von Arthrose im Huf- bis Fesselgelenk (Intoleranz bei dorsalem, lateralem und medialen Anheben).

Die Verstärkung des Abrollpunktes funktioniert natürlich auch bei EB, aber ein verbreiterter Vorderteil oder ein geschlossenes Eisen haben kaum Einfluss auf NEB.

Beim Bockhuf und bei chronischer Hufrehe, mit sekundärer Kontraktion der tBS und großem palmare/plantaren Winkel des Hufbeins, ist eine deutlich angebogenen Zehenrichtung wichtig, die den vorderen Sohlenbereich schont und die Anspannung und Schmerzen in der Abrollphase reduzieren. Solche Hufe haben häufig hohe, lange Trachten, wodurch der erste Trachtenkontakt in der Landephase der Stützbeinphase sehr schmerzhaft ist. Diese Hufe profitieren daher auch von einer zusätzlichen Anbiegung der Schenkelenden. Der so entstandene Beschlag erhielt verschiedene Namen wie „Rock´n Roll“, Banana, selbst justierender palmarer Winkel, Luftkeil, usw. Unabhängig von seinem Namen, kann er bei Pferden mit einer Hypoextension (zu wenig Streckung) des Hufgelenkes sehr effektiv sein [8].

IV Schlussfolgerung:

Wie bei vielen Beschlagstechniken – eine Erleichterung des Abrollens ist häufig nützlich, aber darf nicht blind bei allen Hufen, unter allen Umständen angewendet werden, da die Entlastung einer anatomischen Struktur die Belastung auf andere vermehrt. Die Art und Stärke des Abrollpunktes sollte immer das individuelle Pferd und seine Stellung berücksichtigen, seine Nutzung und vor allem die Bodenbeschaffenheit auf der das Pferd arbeiten muss.

Wird ein therapeutischer Beschlag für eine Lahmheit ausgewählt, können wertvolle Informationen für die geeignete Form der Bodenfläche und die Eigenschaften des Abroll- punktes durch einen „digital extension test“ herausgefunden werden.

Literaturquellen:

  1. Castelijns, H. (2006); L´uso di un apparecchio di estensione digitale graduato nella diagnosi di zoppia. XII Congresso Multisala SIVE – Bologna – Italia 27-29/01/2006.
  2. van Heel, M.C.V., Moleman, M., Barneveld, A., van Weeren, P.R., and Back, W. (2005); Changes in location of center of pressure and hoof- unrollment pattern in relation to an 8-week shoeing interval in the horse. Equine vet. J. 37, 536-540.
  3. Denoix, J.M. (1999); Functional anatomy of the equine interphalangeal joints. Proc. Am. Ass. Equine Practnrs. 54, 174-177.
  4. Florence, L., McDonnell, S.M. (2006): Hoof growth and wear of semi-feral ponies during an annual summer “self-trimming” period, pag. 642-646 E.J.V. Volume 38 – Number 7 – November 2006.
  5. Castelijns, H. (2006): Pathogenesis and treatment of spontaneous quarter cracks – quantifying vertical mobility of the hoof capsule at the heels. Pferdeheilkunde 5/2006 pag. 569-576.
  6. Savoldi, von M.T. (2006); Kriterien zur Barhufzurichtung nach Ausrichtung der Hufsohle, Pferde Spiegel 1 – 2006, pag. 30-31.
  7. Denoix, J.M. Pr., Brochet, J.L., Houliez., D. Dr; Notes de Maréchalerie, Unité Clinique Equine – CIRALE, Ecole Nationale Vétérinaire d´Alfort (2004 edition).
  8. Redden, R.D.V.M. (2003); How to use self-adjusting palmar angles to treat heel pain, 16th Annual Bluegrass Laminitis Symposium, January 16-18, 2003, pag. 1-8.

Hans Castelijns
D.V.M. - Certified Farrier